Das Projekt

An der Wiege der Weimarer Republik

Die deutsche Revolution 1918/19 - ein ungeliebtes Kind

Autor GÜnter Watermeier

Eingekreist oder direkt besetzt von runden Jahrestagen (1938, 1989) bleibt der 9. November 1918 ein ungeliebtes Kind der deutschen Öffentlichkeit. Die stetigen Neuauflagen von Sebastian Haffners 1969 erschienener Darstellung Die verratene Revolution. Deutschland 1918/19 sprechen Bände, da neue Bücher und Bearbeitungen Mangelware bleiben. Dabei greift jeder Versuch, Geschichte zu verstehen, ins Leere, wenn der Mantel des Schweigens ihren Anfang verdeckt.

Einen kleinen Farbtupfer wider die leeren Flächen bietet die Neuköllner Galerie Olga Benario mit einer Fotoausstellung in der Zeit vom 16. Oktober bis 30. November 2008, zum runden Neunzigsten. Unter dem Titel Steh` auf, Arthur, heute ist Revolution wird an einen zeitgenössischen Weckruf erinnert, ein beispielhaftes Einzelschicksal. An ein Leben, das nach jahrelangem Einsatz gegen den Krieg und für die Revolution letztere nur noch zwei Monate begleiten konnte, weil es dann erlag, und mit ihm die revolutionäre Chance, in einem Kampf, der mittels einer weißen Fahne schon sichtbar aufgegeben worden war. Sechs Tage zuvor waren das Zeitungsviertel, das Polizeipräsidium und weitere Machtzentren besetzt worden. Insbesondere das Vorwärts-Gebäude, in dem die gleichnamige Parteizeitung der SPD produziert wurde, symbolisierte das Herzstück der Arbeiterbewegung. Sechs weitere Parlamentäre aus dem Vorwärts wurden ebenfalls am 11. Januar 1919 niedergemetzelt, viele wirkliche und vermutete Sympathisanten denselben und die folgenden Tage. Am 15. Januar 1919 erlitten Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht das gleiche Schicksal. Der Kaiser war gegangen, die Kriegskultur geblieben. Der politische Mord hatte sich in die Geburtswehen der ersten deutschen Republik endgültig eingeschlichen, und wirklich sollte er sie nie mehr verlassen.

Fürs Erste konnte Mitte Januar 1919 ein Parlament gewählt werden, mit richtigen Parlamentären, die auch nicht viel Aufhebens machten, vom erwähnten Vorspiel. Außerparlamentarisch blieb wegen ihres Wahlboykotts nur die zur Jahreswende 1918/19 gegründete KPD, neben der USPD (1917) und SPD mittlerweile die dritte Arbeiterpartei.

 

Die Gewalt bleibt

Der Verlust jeder Scham datiert auf den Beginn des Jahres, den 11. Januar 1919, als die ausgerufene Republik, die noch keine Weimarer war, als Steigeisen bewaffneter, halbstaatlicher Formationen diente. Die Ermordung der politischen Führer am 15. Januar wurde anfangs noch als Lynchjustiz durch den wilden Mob umgedichtet, wenn auch wenig glaubhaft. Die Mörder waren Marineoffiziere, die nie ernsthaft belangt wurden. Da beisst die Demokratie der Diktatur in Deutschland keinen Faden ab. Die Prozessgeschichte der politischen Morde in den Gründungsjahren der Weimarer Republik war hausgemacht, und wer nach dem Zerfall der Monarchie kein beamteter Richter mehr sein wollte, der sollte sich melden, abmelden. An seiner weiteren Verwendung bestand an sich kein Zweifel. Da trafen sie sich, die vor- und nachfaschistische deutsche Demokratie. Wieder Maus mit Faden. Mit dem Zerfall des anderen Deutschland am 9. November 1989 ging ein Gedächtnisverlust einher, der mit der Kennzeichnung als untergegangene DDR-Diktatur nur unzureichenden Ersatz fand.

 

Mut zur Wahrheit

Sollte die Revolution 1918/19 mit dem Untergang der DDR endgültig als ernstzunehmender Bezugspunkt getilgt sein, und damit auch die Ehre der SPD gerettet, die in den ersten Jahren ihrer Regierung sogenannte Kapitalverbrechen ungesühnt ließ?

Liegt die Peinlichkeit doch in der stets schwelenden Annahme ihrer Mitverantwortung?

Liegt sie in der fatalen Erkenntnis, dass sie sich der Geister, die sie rief, nie mehr entziehen konnte?

Einfache Fragen mit offensichtlich ähnlich einfachen Antworten, wenn es der Mut zur Wahrheit nur zulässt.

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